Ist Dada gaga oder wer gaga ist, Dada? In diesem Jahr wird Dada, die Kunst des Unsinns, 100 Jahre alt. Grenzenlos Kultur feiert darum in seiner 18. Ausgabe die Kunstrevolution made in Rheinland-Pfalz. Schließlich wurde Hugo Ball, der 1916 in Zürich zusammen mit seiner Partnerin Emmy Hennings das legendäre Cabaret Voltaire gründete, in Pirmasens geboren.
Dada wollte das Gegenteil von Rationalismus und Sinn, von Ideologie und Ordnung. Alles fand hier Platz: Literatur, Musik, Tanz, die Bildenden Künste. So wie bei Grenzenlos Kultur, wo auch in diesem Jahr wieder rund 150 behinderte und nicht behinderte Künstler*innen aus aller Welt die unterschiedlichsten Kunstformen ausloten werden.
Das Festival verneigt sich vor der kürzesten und - gemessen an dieser Kürze - einflussreichsten aller Avantgarde-Strömungen, indem es lauter Dada-Enkel nach Mainz bittet. Etwa den Bühnenmagier Thom Luz, der in When I die von einer älteren Dame erzählt, die sich von verstorbenen Komponisten wie Liszt und Beethoven ungeschriebene Werke diktieren lässt. Dabei zerlegt er das Theater in seine Einzelteile - und setzt sie leicht verschoben wieder zusammen. Einen schrägen Blick auf die Welt probt seit Jahren auch die Puppentruppe Das Helmi, die in Mainz längst Kultstatus genießt. In ihrer Dada-Revue Die letzte Lockerung huldigen die Publikumslieblinge dem anarchistischen Geist des Dadaismus. Eine Puppe steht auch in Meet Fred vom Hijinx Theatre im Mittelpunkt - das kleine Kerlchen muss sich in einer reichlich schwankenden Welt orientieren. Auf eine poetische Art schwankend sind auch die Texte von Ernst Herbeck, die das Berliner Theater Thikwa in seiner Theaterperformance Hindernisse auf der Fahrbahn zusammen mit Musik und Bildern zu einem intensiven Abend kombiniert, der sanft an den Festen der Welt rüttelt. Ähnlich verschoben und verschroben wirken die Alltagsgespräche, die Martin Clausen und Kollegen in Come Together musikalisch in die Komik treiben. Wenn vom Wortsinn nur noch die Satzmelodie bleibt und absurde Choreografien den Witz kitzeln, umarmen sich Dada und gaga herzhaft.
Ebenso musikalisch verneigt sich das Theater RambaZamba mit seiner Dada-Diven-Revue vor den historischen Vorbildern. Dass das Berliner Ensemble mit Gisela Höhnes Inszenierung Der gute Mensch von Downtown auch das Festival eröffnet, hat viele gute Gründe. Der Abend mit Bühnenlegende und Tatort-Kommissarin Eva Mattes steht einerseits in der Dada-Tradition, die Verrücktheit der Welt mit Verrücktheit zu kontern. Andererseits stellt er mit Bertolt Brecht die Frage, ob ein gerechtes Leben in einer ungerechten Gesellschaft möglich ist. Auch die Frage, wie wir mit den Flüchtenden umgehen, birgt den Dada-Verweis: Dada wurde von Menschen erfunden, die in Zürich Zuflucht vor dem Ersten Weltkrieg suchten. Während das Cabaret Voltaire zum Treffpunkt der Emigranten wurde, fielen in Verdun und an der Somme eine Million Soldaten. 100 Jahre später sieht es nicht besser aus in der Welt, beschäftigt uns das Thema Flucht und die Reaktion Europas darauf jeden Tag. Vor diesem Hintergrund stellt Der gute Mensch von Downtown wichtige Fragen.
Das "grenzenlos" in Grenzenlos Kultur galt immer schon für die Kunst- und Theatersparten, wie auch in diesem Jahr die fließenden Übergänge zu Musik und Bildender Kunst beweisen. Tanz ist eine Disziplin, die von Anfang an dabei war und mit der Unsinnfrage reichlich Erfahrung hat. Der tanzende Körper sucht ständig nach neuen Formen, er gebiert unmittelbar Sinn und löst ihn ebenso unmittelbar wieder auf. Im Tanzjahr 2016 wird es deshalb bei Grenzenlos Kultur auch einen Tanzschwerpunkt geben: Panaibra Gabriel Canda lotet in einem Doppelabend die Sprache der Körper aus. Während sich in Metamorphoses Zuschreibungen wie "behindert" und "nicht behindert" auflösen, wird Candas Körper in den Marrabenta Solos zum Gradmesser gesellschaftlicher Umbrüche in Mosambik. Michael Turinsky choreografiert in my body, your pleasure den Tänzer*innen die Spasmen des eigenen Körpers auf den Leib. Danza Mobile aus Spanien fragt mit ihrer inklusiven Compagnie Where is down? Und Jeremy Wade untersucht in Together Forever zusammen mit dem Publikum, wie es um unsere Hilfs- und Fürsorgebereitschaft steht. Parallel zum Tanzschwerpunkt steht die Für-Sorge auch im Zentrum des internationalen Symposiums Who Cares?, das Wissenschaftler und Experten zusammenbringt, um über die Möglichkeiten und Grenzen eines selbstbestimmten Lebens und (Kultur-)Arbeitens mit Behinderung zu diskutieren. In Workshops, Lectures und Performances werden Theoretiker*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen aus Wirtschaft, Kunst und Sexarbeit ihre kritischen Positionen zu Fragen der Für-Sorge zur Diskussion stellen.
Das alles gibt es ausführlich beschrieben in unserer Programmbroschüre und zum Nachlesen mit Kritiken, Porträts und Interviews im Festivalblog blog.grenzenlos-kultur.de. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!
Andreas Meder
Lebenshilfe gGmbH Kunst und Kultur