6.-22. September 2012, Kulturzentrum KUZ Mainz
Spätestens, seit sich die westliche Welt daran gemacht hat, nicht nur den allein herrschenden Monarchen, sondern auch Gott selbst vom Thron zu stoßen, geht ein Gespenst um in ihr – das Gespenst der Freiheit. So gut wie jede politische Richtung reklamiert sie für sich – und definiert sie dafür jeweils neu und gemäß den eigenen Interessen.
Wie frei sind wir aber wirklich? Wer bestimmt was? Könnte das, was ist, auch ganz anders sein? Was unterscheidet uns eigentlich noch von Robotern? Was wäre, wenn alles das, wovon wir glauben, dass wir es aus freien Stücken denken, sagen oder tun, in einem von wem auch immer verfassten Skript längst festgelegt worden wäre? Wer oder was spricht aus uns, wenn wir sprechen? Und welche Möglichkeiten der Selbstermächtigung, der Selbstbestimmung stehen uns trotz alledem offen? Was hilft uns weiter? Geld? Liebe? Kunst? Rebellion? Revolution? Und was bleibt von dem, was wir zu sein glauben, wenn unser Gehirn beginnt, uns im Stich zu lassen? Mit solchen und anderen Gespenstern der Freiheit beschäftigt sich das internationale Theaterfestival Grenzenlos Kultur in seiner 14. Ausgabe.
Eröffnet wird das Festival mit dem Tanztheaterabend "Minotauro" des Teatro la Ribalta, für den Regisseur Antonio Viganò poetische Bilder zum Thema Gefangen- und Zusammensein gefunden hat. Eine Liebesgeschichte im Labyrinth, in der der Andere Hölle und Himmel zugleich ist, und eine Hommage an Pina Bausch, bei der Julie Stanzak, die Choreografin der Produktion, lange Jahre selbst Tänzerin war.
Zu einer anderen ungewöhnlichen (Un-)Freiheits-Erfahrung sind jeweils vier Zuschauer/innen eine Stunde vor Beginn des Hauptprogramms eingeladen: In "OK OK" spielen sie nicht nur unter acht Augen selbst und mehr oder weniger ihre eigene Situation – sie müssen auch feststellen, dass ihnen der geschriebene Text von Ant Hampton und Gert-Jan Stam, den sie verwenden, immer um eine Nasenlänge voraus ist.
Boris Nikitin und sein kongenialer Performer Malte Scholz gehen in ihrer Theaterarbeit zu Büchners "Woyzeck" der Frage nach unserer Zurechnungsfähigkeit nach. Das Berliner Theater RambaZamba verarbeitet in "Lost Love Lost" gleich vier Shakespeare-Stücke zu einem mitreißenden Selbstbefreiungsakt durch das Spielen. Und die Aktionskünstlerin Anne Tismer baut in Verneigung vor Luis Buñuel zusammen mit Performer/innen von Theater Thikwa in der Walpodenakademie im Bleichenviertel das "Plastikgespenst der Freiheit".
In "Lilith's Return" treffen Realitäten junger Frauen in Beirut und Berlin, Mythos und Jetztzeit, Tanz- und Musiktheater aufeinander und erhellen sich wechselseitig – eine einzigartige Produktion ausgehend vom Mythos um die rebellische Lilith. Auch die kleine Bettina denkt nicht daran, sich höheren Zwängen unterzuordnen: sie bummelt. Statt auf dem schnellsten Weg nach der Schule nach Hause zu gehen, dehnt sie in dem Kindertheaterstück von Theater an der Parkaue und Two Fish die Zeit zwischen Schulende und Nachhausekommen in immer neuen Variationen.
Für Unregelmäßigkeiten im strengen Regelsystem eines mittelalterlichen Klosters schließlich interessieren sich die Puppenspiel-Anarchos von Das Helmi frei nach Umberto Ecos "Der Name der Rose". Und der französische Star-Choreograf Jérôme Bel entdeckt in den sogenannt geistig behinderten Schauspieler/innen des Zürcher Theater Hora Künstler, die die Konventionen des Theaters radikaler in Frage stellen als er selbst.
Sich an einen Roboter als Mitbewohner zu gewöhnen versuchen in "Roboterträume" die Performer von Turbo Pascal, und in "Brilleman" beschäftigen sich die Schauspieler/innen des belgischen Theater Stap mit viel Musik und Tanz mit der Unzuverlässigkeit unseres Erinnerungsvermögens im Falle einsetzender Demenz.
Zum diesjährigen Festivalabschluss schließlich beschwört die Turbopolka-Formation Russkaja Erinnerungen an die Zeit des Eisernen Vorhangs herauf – den sie im selben Atemzug und mit nur einer Botschaft gleich wieder überschreitet: Tanz! Tanz! Tanz!
In diesem Sinne: Nehmen Sie sich die Freiheit und besuchen Sie unser Festival!